Londons Bürgermeister Sadiq Khan erhält eine dritte Amtszeit (2024)

Einst lieferte sich der erste muslimische Bürgermeister Europas einen Schlagabtausch mit Donald Trump. Nun erhält der streitbare Londoner für seine grüne Mission eine dritte Amtszeit.

Niklaus Nuspliger, London

4 min

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Sadiq Khan präsentiert sich gerne als Politiker, der das Unwahrscheinliche möglich macht. Immer wieder erzählt der 53-Jährige, wie er als fünftes von acht Kindern eines pakistanischstämmigen Busfahrers und einer Näherin in ärmlichen Verhältnissen in einer Sozialsiedlung in Tooting im Süden Londons aufwuchs. Wie er als Jugendlicher mit Rassismus konfrontiert war, wie er dank der Inspiration einer amerikanischen TV-Serie Jura studierte und wie er sich zum Menschenrechtsanwalt ausbilden liess.

2005 wurde er als einer der ersten Angehörigen einer ethnischen Minderheit ins britische Unterhaus gewählt. 2016 avancierte er zum Nachfolger von Boris Johnson als Londoner Bürgermeister – und zum ersten muslimischen Stadtvater einer europäischen Metropole. Und als am Wochenende die Resultate der Lokalwahl von vergangener Woche vorlagen, stand Khan als erster Bürgermeister in der Geschichte Londons fest, der zu einer dritten Amtszeit antreten darf.

Widersacher Donald Trumps

Dass der Labour-Politiker mit gut 10 Prozentpunkten Vorsprung auf seine konservative Konkurrentin siegte, ist nicht selbstverständlich. Denn gemäss Meinungsumfragen ist Khan in der Bevölkerung nicht besonders beliebt. Er polarisiert und ruft bei einem Teil der Wählerschaft überaus starke Abwehrreflexe hervor. Khan scheint auch davon profitiert zu haben, dass sich die Konservativen in einem Formtief befinden und mit Susan Hall eine betont rechte Kandidatin aufstellten, die die urbanen Wähler Londons nicht zu überzeugen vermochte.

Khan gilt als sehr dirigistisch und machtbewusst, doch ist die Macht des Londoner Bürgermeisters begrenzt. Seine Kompetenzen im Bereich Verkehr oder Polizei teilt er mit dem starken britischen Zentralstaat. Zudem spielen in Bereichen wie Schulen oder Sozialwohnungen die Lokalregierungen der einzelnen Stadtteile die Hauptrolle. Doch Khan, der mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern bis heute im ethnisch diversen Quartier Tooting wohnt, gelingt es, die Multikulturalität Londons zu verkörpern und der Stadt gegen aussen ein authentisches Gesicht zu geben.

Khan macht seine Religionszugehörigkeit selber immer wieder zum Thema. Nach den Bombenanschlägen von 2005 trat er als moderater Muslim in Erscheinung, der den Islamismus scharf verurteilte. Seit Donald Trump 2017 mit seinen Plänen für eine Einreisesperre für Muslime für Furore sorgte und Khan ihn dafür scharf angriff, liefern sich der Londoner Bürgermeister und der ehemalige amerikanische Präsident immer wieder Scharmützel in den sozialen Netzwerken.

.@SadiqKhan, who by all accounts has done a terrible job as Mayor of London, has been foolishly “nasty” to the visiting President of the United States, by far the most important ally of the United Kingdom. He is a stone cold loser who should focus on crime in London, not me......

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) June 3, 2019

Jüngst war Khan einer der ersten hochrangigen Politiker im Land, die sich öffentlich für einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg aussprachen, und er geriet angesichts der propalästinensischen Demonstrationen in London als politischer Verantwortlicher für die Polizei in die Kritik. Der Rechtspolitiker Lee Anderson warf Khan sogar vor, mit Islamisten unter einer Decke zu stecken – ein unhaltbarer Kommentar, der zur Trennung zwischen Anderson und der Konservativen Partei führte.

Im Gespräch mit Journalisten wirkt Khan einnehmend und umgänglich. Gegen seine Gegner aber kämpft der ehemalige Boxer mit harten Bandagen. Mitunter wirft er ihnen Islamophobie oder Extremismus vor, seine Konkurrentin Hall verglich er im Wahlkampf mit Trump. Die «Times» berichtete kürzlich, seit seiner ersten Wahl zum Bürgermeister hätten die Drohungen von Rechtsradikalen und Islamisten gegen seine Person exponentiell zugenommen. Während Boris Johnson zu seiner Zeit als Londoner Bürgermeister noch unbehelligt auf dem Velo durch die Stadt radelte, steht Khan unter gleich hohem Polizeischutz wie König Charles III. und Premierminister Rishi Sunak.

Schwimmen in der Themse?

Viele Londoner haben den Eindruck, die Sicherheitslage habe sich unter Khan verschlechtert – die Konservativen argumentierten im Wahlkampf gar, die Kriminalität sei völlig ausser Kontrolle geraten. Die Statistiken führen zu einer nuancierten Beurteilung. So haben die Verbrechen mit Schusswaffen seit Khans Amtsantritt um 20 Prozent abgenommen, und die Zahl der schweren Gewaltdelikte ist vergleichsweise tief. Allerdings haben Drogendelikte, Raubüberfälle und vor allem Messerattacken zugenommen – wofür Khan die Budgetkürzungen der Zentralregierung verantwortlich macht.

Die Konservativen werfen Khan überdies vor, einen «Krieg gegen Autofahrer» zu führen. So hatte der Bürgermeister im vergangenen Sommer die Ultra Low Emission Zone (Ulez) auf den ganzen Grossraum Londons ausgedehnt. Nun müssen Halter von älteren Diesel- und Benzinautos für die Fahrt auf dem Stadtgebiet eine tägliche Maut von umgerechnet 14 Franken entrichten.

Dies löste angesichts der ohnehin stark steigenden Lebenskosten einen derart starken Proteststurm aus, dass selbst der nationale Labour-Chef Keir Starmer Khan ans Herz legte, auf die Ausdehnung der Maut zu verzichten. Doch der Bürgermeister, der als Erwachsener unter Asthma zu leiden begann, betrachtet die Verbesserung der Luftqualität in London als historische Mission.

In seiner dritten Amtszeit will Khan seinen Kampf für bessere Luft weiterführen – und auf die öffentlichen Gewässer ausdehnen. Im Wahlkampf versprach er, in zehn Jahren werde man in der Themse schwimmen können. Solange die Wasserversorger Unmengen an ungeklärtem Abwasser in den Fluss ableiten dürfen, mutet das wenig realistisch an. Doch Khans Glaube, dass er das Unwahrscheinliche möglich machen kann, ist nach seiner Wiederwahl stärker denn je.

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